Mensch Mayer!

Nach all den Jahrtausenden, die wir im tiefen Tal der Tränen umhzerwanderten, traf der Blitz der Erkenntnis nun ein Backnanger Finanzgenie. Nachdem ihn der Erkenntnisblitz wie ein epilleptischer Anfall durchzuckt hat, erwachte Thomas Mayer und emanierte folgenden Schwabenstreich: Geld aus Vermögen statt aus Schulden?

Und zur Begründung seines ach so aktiven Geldes zog Mayer denn auch gleich mal Walter Eucken heran, um dem ganzen auch das nötige Gewicht zu verleihen.

Dabei identifiziert Mayer in Euckens Geldtheorie drei Herangehensweisen, die Eucken vorgetragen hat, ich zitiere Geld aus Vermögen statt aus Schulden?

Ordnung bringt Walter Eucken in die Debatte. Unabhängig von ihrer konkreten historischen Ausgestaltung unterscheidet er drei reine Geldsysteme, sozusagen Bausteine historisch vorhandener Geldordnungen. Im ersten System entsteht Geld dadurch, dass eine Ware zu Geld wird. Dies entspricht der oben erwähnten Idee von Geld als Tauschmittel. Die Palette der Sachgüter, die als Geld dienen, reicht von Edelmetallen über Getreide zu Muscheln. Warengeld kann im Monopol (von einem Herrscher) oder in Konkurrenz (von Städten oder anderen Körperschaften oder sogar Privatpersonen, wie etwa von Münzmeistern im fränkischen Reich des 6. Jahrhunderts) erzeugt werden.

Im zweiten System entsteht Geld bei Lieferung einer Ware oder Leistung einer Arbeit als Schuldschein. Beispiel hierfür ist die Ausgabe staatlicher Schuldscheine gegen Warenlieferungen von Babylonien im 3. und 2. vorchristlichen Jahrhundert bis hin zum Deutschland des 18. Jahrhunderts.

Im dritten System schafft der Kreditgeber schließlich Geld, das bei der Rückzahlung des Kredits wieder vernichtet wird. Diese Art der Schaffung von Kreditgeld wird von Zentralbanken betrieben, wenn sie zum Beispiel Staatsanleihen in Offenmarktgeschäften kaufen, aber auch von Privatbanken, wenn sie Kredit gewähren und die Kreditsumme dem Schuldner auf seinem Konto gutschreiben.

Ich diskutiere diese Systeme mal kurz an und gebe ihnen mal eingängige Namen, dann ist der Wiedererkennungswert doch etwas höher.

Kurantmünzen

Das erste System stellt also im wesentlichen das Münzsystem da, wobei stoffwerthaltige Münzen ("Kurantmünzen") in der Form, wie wir sie heute kennen, etwa zwischen 650 v.Chr. und 600 v.Chr. nachweisbar sind. Siehe z.B. Geschichte des Münzgeldes .

Das bemerkenswerte an diesem Münzgeld ist, daß Kurantmünzen grundsätzlich von jederman hergestellt werden können. Sich auf diese als generisches Tauschmittel zu einigen, ist eine reine Übereinkunft, dazu bedarf es weder einer Herrschaft noch einer "Geldschöpfung". Geld als Tauschgut wird einfach hergestellt und kursiert am Markt. Damit ist insbesondere das "Loch in der Mitte" geschlossen, über das Paul C. Martin u.a. in Der Kapitalismus, ein System das funtionert, Teil 1 referiert, er reitet da etwas naiv auf der Frage herum, wo das Geld herkommt und braucht dann wirre Theorien, um dies in die Welt hineinzuphantasieren. Vor allem aber wäre dies das "Loch in der Mitte" in allen von ihm diskutierten Theorien und damit die Begrünundug für die Notwendigkeit des Debitismus, einer heterodoxen volkswirtschaftlichen Lehre.

Tatsächlich ist die Vorstellung, und mehr kann die Wissenschaft nicht bieten, es war vor 2600 Jahren kein Kamerateam dabei, daß sich Münzen als generisches Tauschgut am Markt etabliert haben, unmittelbar eingängig. Daß eine Marktaufsicht hier ordnend eingreift, indem sie einen Standard für Münzen, etwa bzgl. Material, Masse, Reinheit, festlegt, ist leicht vorstellbar.

Buchalterisch sind Münzen Aktiva, diese wären also das, was Thomas Mayer als "Aktivgeld" bezeichnen würde, denn hier erfolgt der ganze Tauschhandel quid pro quo durch Austausch von liquiden Aktiva unter den Geschäftspartnern.

In der heutigen Wirtschaft haben wir standadisierte Münzen und Scheine im Umlauf, da wäre "liquides Geld" das, was wir als Geldbasis bezeichnen, gemäß der Geldmengendefinition der EZB auch als "M0". Unsere heutigen Münzen und Scheine haben freilich einen vernachlässigbaren stofflichen Wert. Rein haptisch gehen wir damit aber genauso um wie das in der Antike mit Münzen geschah.

Und auch, wenn ich in der Wirtschaft nur mit Aktiva Handel treibe, müssen die letztlich jemandem gehören. Jeder Zeitungskiosk muß seine BGA und sein Warenangebot und das Wechselgeld in der Kasse irgendwo her bekommen, und wenn es der Eigentümer aus dem Eigenkapital finanziert, aber auf Bäumen wächst das nicht. Und ebensowenig kommt eine Bilanz ohne Passiva aus: Genau genommen hat ein Geschäft in der Bilanz genausoviel Passiva wie Aktiva. (Siehe Bilanzgleichung.)

Und bevor jemand jetzt losschimpft, das sei doch alles aus Holz und heute sei alles Kredit: Seit urdenklichen Zeiten gibt es z.B. Warentermingeschäfte. Keine Gewürzkarawane, kein Tuchhändler, kein Bauer, der Pachtzahlungen leistet, kommt ohne Zeitversatz in Forderungen und Verbindlichkeiten aus.

In Summe heißt das aber: Auch wenn ich nur mit Aktiva zahle, sieht die Wirtschaft in den Journalen und Bilanzen der Kaufleute ganz genau so aus wie heute. Und wenn wir heute mit umlauffähigen Forderungen zahlen, sind das buchhalterisch genau die gleichen Aktiva wie die liquiden Aktiva des Münzgeldes.

Der einzige Unterschied liegt tatsächlich in der Bewertung der Aktiva: Bei Münzen in der Kasse reicht da simples Zählen, allgemein gilt bei Aktiva aber das Niederstwertprinzip, wenn ich in den Aktiva auch Forderungen zulasse, muß ich bei der Bewertung das Risiko eines Forderungsausfalls berücksichtigen.

Es wird bereits hier deutlich: Dinge wie Kredit oder Forderungsausfall oder dergl. hängen eigentlich nicht am "Geldsystem", wie es immer wieder falsch vorgetragen wird, sie sind ganz einfach Bestandteile des kaufmännischen Tagesgeschäfts. Und die stehen bereits bei einem Geldsystem mit Kurantmünzen in genau derselben Weise in dem Büchern, wie wir das heute allgemein kennen.

Goldstandard

Das zweite der genannten Systeme.

Huch. Das sieht doch in Goldstandard ganz anders aus!

Eben nicht. Buchhalterisch werden hier Aktiva bei einer Zentralbank hinterlegt und diese reicht im Gegenzug Schuldscheine aus, die a) Forderungen gegen die Zentralbank sind und b) umlauffähig. Das ist vom Prinzip genau das zweite der oben beschriebenen Systeme.

Sofern eine Lieferung nicht an die Zentralbank erfolgt und der Kunde einen Schuldschein ausstellt, stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Schuldscheins, hier kann man einen solchen Schuldschein an die Zentralbank verkaufen und auf diese Weise an einen auf die Zentralbank bezogenen Wechsel gelangen.

Und natürlich verbucht eine Zentralbank angekaufte Aktiva in ihrer Bilanz und die ausgereichten Schuldscheine verbucht sie als Passiva. Sofern jemand Güter, Leistungen, Wechsel etc. an die Zentralbank verkauft und "Geld entsteht", haben wir in der Zentralbankbilanz eine Bilanzverlängerung, sofern jemand Schuldscheine an die Zentralbank zurückgibt und dafür Aktiva zurückkauft, haben wir eine Bilanzverkürzung.

Kredite

Dazu muß ich eigentlich nichts mehr sagen, das ist kaufmännisches Tagesgeschäft. Gehe zurück zur Berufsschule, begib dich direkt dort hin, gehe also nicht über Los und ziehe keine 4000 Mark ein, und nimm dir ein Lehrbuch über kaufmännichs Rechnungswesen, Thema durch.

Strich drunter:

Die drei geschilderten Herangehensweisen von Walter Eucken unterscheiden sich im Kern überhaupt nicht.

Eucken mag didaktisch denselben Sachverhalt induktiv unterschiedlich aufgebaut haben, das ist ein pädagogischer Ansatz, der üblicherweise in der Schule vorkommt, als promovierter Mann sollte Thomas Mayer in der Lage sein, deduktiv zu denken, und da ist ihm aufgefallen, daß die "drei unterschiedlichen Systeme" buchhalterisch völlig identisch sind.

Fast möchte man fragen: Wie sollte es auch anders sein?

Ärgerlich ist nur die Scheinunterscheidung von "Aktivgeld" und "Passivgeld", es ist eigentlich nicht die Frage, was "Aktivgeld" ist, Geld besteht aus umlaufenden Aktiva, die Frage ist, was "Passivgeld" sein soll - unser gegenwärtiges Geld ist kein solches, das besteht nämlich aus umlaufenden Aktiva - und unterscheidet sich in genau gar nichts vom Geld der alten Lydier.

Was will Mayer wirklich?

Da kann ich nur raten. Ein neues Geldsystem will er nicht, da plappert er von einer "Geldsystemreform" um im Kreis der üblichen Verschwörungstheoretiker von Debitismus bis Rothschild-Kritikern nicht dumm da zu stehen, aber letztlich hat er damit nichts zu tun. Auch sehe ich bei Mayer noch keine Anbetung der geheiligten Geldmenge, in der monetaristischen Ecke sehe ich ihn auch nicht.

Gefühlsmäßig höre ich bei ihm etwas den Wunsch nach einem Vollreserve System heraus, das schon Irving Fisher als "100% Money" vorgeschlagen hat.

Letzlich ist aber auch ein Vollreserve System eine Nebelkerze, denn letztlich liegen die Probleme beim kaufmännischen Wirtschaften nicht im Geldsystem sondern in ganz genau zwei Punkten.

  1. Wie kann ich Aktiva zutreffend bewerten?
  2. Was passiert, wenn ich Aktiva zu hoch bewertet habe und bei der Wertberichtigung Verluste abschreiben muß?

Gerade im zweiten Fall kann es sein, daß ein Wirtschaftssubjekt Verluste nicht mehr gegen sein Eigenkapital ausbuchen und endlich kein positives Reinvermögen mehr darstellen kann - weniger geschraubt ausgedrückt: Das Wirtschaftssubjekt ist pleite. Und das ist in besonderer Weise bei Banken von Bedeutung, da Banken in deutlich höherem Maße als etwa ein Einzelhändler oder ein einfacher Handwerksbetrieb risikobehaftete Aktiva in ihrer Bilanz haben.

Was Thomas Mayer letzlich konstruktiv will, bleibt leider im unklaren. Was er freilich überhaupt nicht anspricht, ist, daß es nicht unser "Geldsystem" ist, das zu Problemen führt, sondern daß es im Kern die Vermögensverteilung ist, die uns den Hals bricht. Im zitierten Wikipedia Artikel wird als Heilmittel eine Vermögenssteuer von 3% für das reichste Zehntel der Bevölkerung vorgeschlagen, ob das ausreicht, kann ich hier nicht diskutieren. Sicher reicht es nicht aus, um die gegenwärtige Ungleichverteilung der Vermögen in akzeptabler Frist abzubauen.

So finden wir z.B. hier die Aussage: "Im Jahr 2007 kontrollierten 147 Konzerne etwa 40 % des weltweiten Finanzvermögens aller internationalen Firmen." Und wenn wir am Ende einsehen, daß es vielleicht 200 oder 300 Wirtschaftssubjekte sind, die das weltweite Vermögen kontrollieren, dann ist es nicht verwunderlich, daß sich Verschwörungstheorien bilden, die von einer "Neuen Welt Regierung" sprechen oder dergleichen.

Tatsächlich ist aber die Neigung des Kapitalismus zur Vermögenskonzentration ein systemischer Fehler. Der bekannte Blödsinn, man könne durch Arbeit Geld verdienen, ist Quatsch. Niemand wird mit Arbeit reich. Fakt ist, daß Wirtschaftssubjekte mit vergleichsweise hoher Kapitalrendite binnen kürzester Zeit alle anderen Wirtschaftssubjekte platt machen. So ist es z.B. kompletter Schwachsinn, zu behaupten, Bill Gates hätte sich sein Vermögen von (Stand 2014) 79,2 Milliarden Dollar (70,5 Milliarden Euro) "verdient".

Wenn wir etwas gegen diese Fehlentwicklung tun wollen - und das müssen wir, müssen wir vor allem eines: Wir müssen privaten Reichtum begrenzen. Und wir müssen den Menschen erstmal klarmachen, wie Kapitalismus funktionert - und daß übermäßger privater Reichtum ein Verbrechen ist.

Und das hat nichts mit Neid zu tun sondern schon schlicht mit der Tatsache, daß ich mich nicht damit rausreden kann, meine Milliarde Euro "auf dem Sparbuch" zu haben. Sondern ich sollte mir mal anschauen, welche Aktiva meine Bank hinter dieses Sparbuch setzt und wie bei diesen Aktiva die Werte erhalten werden. Da geht es nur noch um Rendite, da kann jemand der edelste Mensch der Welt sein, aber wer da eine Milliarde Euro "auf der hohen Kante" hat, der muß sich darüber klar sein, daß er nach zwei Jahren in etwa soviel Tote auf dem Gewissen hat wie der ganze zweite Weltkrieg gefordert hat. Und solange uns das nicht klar wird, habe ich keine Hoffnung, daß sich etwas ändert.